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Fall: Das Wahlrecht des Dritten
A und B sind persönlich haftende Gesellschafter der A,B,C-KG. Der Gesellschaftsvertrag sieht vor, dass A und B lediglich gesamtvertretungsberechtigt sind. Dies ist auch im Handelsregister eingetragen. Im Dezember 2016 scheidet A aus der KG aus, ohne dass diese Tatsache in das Handelsregister eingetragen wird. Im Juni 2017 schließt B mit X einen Kaufvertrag über den Erwerb eines LKW für die KG zum Preis von 20.000 EUR. Eine Zahlung erfolgt nicht. X wendet sich daher an A und fordert diesen zur Zahlung von 20.000 EUR auf. A meint, dass eine Zahlungsverpflichtung nicht bestehe. Schließlich sei er nicht mehr Mitglied der KG. Überdies ist er der Meinung, dass es doch nicht sein könne, dass X einerseits von einem wirksamen Vertragsschluss ausgehe und andererseits den A in Anspruch nehmen wolle. Zu Recht? |
Lösungsvorschlag |
A. X könnte gegen A einen Anspruch auf Zahlung von 20.000 EUR aus § 433 Abs. 2 BGB haben. Zwischen X und A ist jedoch - zumindest unmittelbar - kein Vertragsverhältnis zustande gekommen, so dass ein Direktanspruch ausscheidet. |
Anspruch aus § 433 Abs. 2 BGB i.V.m. § 161 Abs. 2 HGB, § 128 S. 1 HGB |
B. X könnte gegen A einen Anspruch auf Zahlung von 20.000 EUR aus § 433 Abs. 2 BGB i.V.m. § 161 Abs. 2 HGB, § 128 S. 1 HGB haben. |
I. Wirksamer Kaufvertrag zwischen X und der A, B, C - KG |
Dazu müsste zwischen X und der A,B,C-KG zunächst ein Kaufvertrag i.S.v. § 433 BGB zustande gekommen sein. Vorliegend haben lediglich X und B wechselseitige Willenserklärungen des Inhalts abgegeben, dass die KG von X einen LKW zum Preis von 20.000 EUR erwerben solle. Nach dem Gesellschaftsvertrag ist B jedoch in Abweichung von § 161 Abs. 2 HGB, § 125 Abs. 1 HGB nicht alleinvertretungsberechtigt. Mit Ausscheiden des A aus der A,B,C-KG ist diese Regelung aber praktisch obsolet geworden - obwohl der Gesellschaftsvertrag unverändert geblieben ist und die Regelung bei erneutem Eintritt des A wieder gelten würde, läuft sie nunmehr leer. Eine ausschließliche Vertretung durch B gemeinsam mit dem Nichtgesellschafter A ist aufgrund des Grundsatzes der Selbstorganschaft nämlich nicht zulässig. Die Gesellschaft muss jedoch handlungsfähig bleiben. Soweit es aber nur noch eine vertretungsberechtigte Person gibt, muss diese auch zur Alleinvertretung befugt sein (=wahre Rechtslage). Wäre hingegen die aus dem Handelsregister ersichtliche Lage maßgebend, hätte ein Kaufvertrag zwischen X und der A,B,C-KG, diese allein vertreten durch B, nicht zustande kommen können - denn das Register "schweigt" zum Ausscheiden des A; diese Tatsache ist nicht eingetragen, § 15 Abs. 1 HGB. Mit Rücksicht auf den Wortlaut des § 15 Abs. 1 HGB ("kann") steht dem Dritten - hier also X - aber ein Wahlrecht dahingehend zu, ob er sich auf die wahre Rechtslage oder auf die Registerlage berufen möchte. X geht von einem Kaufvertrag aus, womit er sich implizit auf die wahre Rechtslage beruft. Damit ist ein Kaufvertrag zwischen X und der A,B,C-KG zustande gekommen. |
II. Persönliche Haftung des A gem. §§ 161 Abs. 2 HGB, 128 S. 1 HGB |
Weiterhin müsste A für die durch den Kaufvertrag begründete Verbindlichkeit der Gesellschaft gem. § 161 Abs. 2 HGB, § 128 S. 1 HGB persönlich haften. Dies setzt voraus, dass A persönlich haftender Gesellschafter der A,B,C-KG ist oder sich als solcher behandeln lassen muss. Materiell-rechtlich ist A zum Zeitpunkt der Begründung der Verbindlichkeit - der Kaufvertragsschluss erfolgte im Juni 2017 - bereits seit ca. 6 Monaten aus der KG ausgeschieden. Eine Haftung nach § 161 Abs. 2 HGB, § 128 Abs. 1 S. 1 HGB schiede demnach aus. Auch eine Nachhaftung nach § 160 Abs. 1 HGB kommt nicht in Betracht; diese greift lediglich für bis zum Austritt begründete Verbindlichkeiten. Nach dem Handelsregister ist A allerdings nie aus der Gesellschaft ausgetreten. Gem. § 15 Abs. 1 HGB durfte X abstrakt davon ausgehen, dass ein solcher Austritt nicht erfolgt ist. Soweit allein die Registerlage maßgeblich wäre, wäre eine Haftung nach § 161 Abs. 2 HGB, § 128 S. 1 HGB zu bejahen. Gegen die Heranziehung der Registerlage könnte aber sprechen, dass hinsichtlich des Kaufvertrags auf die tatsächliche Rechtslage abgestellt werden musste, um überhaupt einen Vertragsschluss bejahen zu können (s.o.). Das bedeutet, dass sich der Dritte - hier also X - zur Begründung einer Tatbestandsvoraussetzung auf die wahre Rechtslage und zur Begründung einer anderen Tatbestandsvoraussetzung auf die Registerlage beziehen dürfte ("Rosinentheorie" oder auch "Prinzip der Meistbegünstigung"). Dies wird von Teilen der Literatur mit dem Argument abgelehnt, dass § 15 Abs. 1 HGB zwar den guten Glauben des Dritten schützen, aber nicht zu einer Besserstellung des Dritten führen soll. Durch die Anwendung eines solch weit gehenden alternativen Wahlrechts würde der Dritte gegenüber einer Situation, in der das Register mit der tatsächlichen Rechtslage übereinstimmt, besser gestellt. Demgegenüber ist es für den BGH und dem anderen Teil der Literatur (hM) nach Sinn und Zweck des § 15 Abs. 1 HGB nicht möglich, den Vertrauensschutz enger oder weiter zu ziehen als dies von § 15 Abs. 1 HGB selbst zugelassen wird. Eine Beschränkung des Wahlrechts auf einzelne Tatbestandsvoraussetzungen wird dort gerade nicht ausgesprochen. |
III. Ergebnis |
Folgt man dem BGH, hat X einen Anspruch gegen A auf Zahlung von 20.000 EUR aus § 433 Abs. 2 BGB, § 161 Abs. 2 HGB, § 128 S. 1 HGB. (a.A. gut vertretbar) |
Ulrich Noack 20.11.2024 10:53
Leonhard Pfeiffer 19.11.2024 19:09
Michael Beurskens 07.01.2016 13:09
Anonymus 03.01.2016 13:33
immer wenn ich auf"Lösungsvorschlag" drücke, öffnet sich der Lösungsvorschlag nur für den Bruchteil einer Sekunde. Danach erscheint die nächste Seite zur positiven Publizität der Registers.
Haben Sie eine Lösung für mein Problem?
06.01.2012 13:10
Nach dem BGH gibt es doch sowohl Vertragsschluss als auch Haftung des A, also besteht Ansruch...?