(1) Wie ermittelt man den relevanten Zustand?
(a) Was gilt für hypothetische Kausalverläufe?
Da nach § 249 S. 1 BGB gerade die hypothetische Lage ohne das schädigende Ereignis herangezogen wird, sind hypothetische Kausalverläufe grundsätzlich beachtlich.
A trägt eine wertvolle Vase des B, stolpert und lässt fahrlässig die Vase in der Wohnung des B fallen, die dadurch vollständig zerstört wird. 5 Minuten später zerstört ein Erdbeben das gesamte Mehrfamilienhaus, in dem B wohnt. Seine gesamte Wohnungseinrichtung liegt in Scherben. Hat B gegen A Anspruch auf Schadensersatz für die Beschädigung der Vase?
Es liegt eine rechtswidrige und verschuldete Rechtsgutverletzung im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB vor. Fraglich ist allerdings, ob B einen Schaden erlitten hat. Selbst wenn A die Vase nicht umgeworfen hätte, wäre sie zerstört worden. In den 5 Minuten vor der Zerstörung hätte B die Vase nicht verwerten können. Es liegt kein ersatzfähiger Schaden vor.
Allerdings kann dies den Geschädigten erheblich benachteiligen. Daher gibt es zwei unumstrittene Ausnahmen: Unbeachtlich sind (1) alle hypothetischen Verläufe, durch welche der Schädiger ebenfalls ersatzpflichtig würde sowie (2) alle hypothetischen Verläufe, durch welche ein Dritter ersatzpflichtig würde (arg. ex § 830 Abs. 1 S. 2 BGB).
Hätte nicht ein Erdbeben die Vase 5 Minuten später ohnehin zerstört, sondern A, weil er später erneut stolpert, ist das unbeachtlich. Ebenso, wenn nach 5 Minuten C hinzugekommen wäre und die Vase zerstört hätte.
Die neuere Rechtsprechung gewährt auch in Fällen wie dem Ausgangsfall einen Schadensersatzanspruch. Dieser beschränkt sich jedoch auf den unmittelbaren Objektschaden an der Vase, erfasst jedoch nicht Vermögensfolgeschäden, die erst durch den Verlust der Vase entstehen (etwa die fehlende Möglichkeit zur Präsentation auf einer Ausstellung). Zudem ist dem Schädiger aus dem Gesichtspunkt widersprüchlichen Verhaltens verwehrt, sich auf eine Reserveursache zu berufen, wenn er bereits den Anspruch erfüllt hat.
Für Unterhaltsansprüche findet sich eine klare Regel in § 844 Abs. 2 S. 1 a.E. BGB: Danach besteht eine Pflicht zur Zahlung einer Geldrente bei Tötung eines Unterhaltspflichtigen nur während der mutmaßlichen Dauer seines Lebens. Dementsprechend finden Schadensanlagen (etwa bei Tötung eines Sterbenden oder Zerstörung einer ohnehin im Zusammenbruch befindlichen Sache) stets Berücksichtigung.