6. Was ist ein "Dissens"?
d. Was ist ein "offener Dissens"?
Bei einem offenen Einigungsmangel i.S.d. § 154 Abs. 1 S. 1 BGB ist den Parteien bewusst, dass sie sich über einen vertraglichen Nebenpunkt nicht geeinigt haben. Dann wird vermutet, dass der Vertrag nicht geschlossen ist und auch alle anderen Punkte noch geändert werden können. Dies gilt nach § 154 Abs. 1 S. 2 BGB auch, wenn die bisherige Einigung schriftlich fixiert wurde.
K will den alten VW Golf des V kaufen. Beide haben sich über das Auto und den Kaufpreis geeinigt. Allerdings meint K, dass V das Auto vorher in die Waschanlage geben soll. V meint, das könne K doch selber tun. Man einigt sich, die Frage kurz vor der Übergabe zu klären. Beide füllen trotzdem schon einen aus dem Internet heruntergeladenen Formularkaufvertrag aus. Hier greift § 154 Abs. 1 BGB: Der Vertrag ist trotz schriftlicher Fixierung noch nicht verbindlich geschlossen, solange über die Reinigung des Autos keine Einigung erzielt wurde.
Die Zweifelsregelung greift aber nur ein, soweit nicht eine Auslegung nach § 133 BGB iVm § 157 BGB zu einem anderen Ergebnis gelangt.
V bietet K einen Pkw für 10.000 Euro an. K erklärt, er nehme den Antrag an, jedoch sei es ihm sehr wichtig in Raten zahlen. V antwortet, er sei grundsätzlich einverstanden und erwarte konkrete Vorschläge. Ist der Vertrag geschlossen worden?
Die Einigung über die Ratenzahlung und deren konkrete Ausgestaltung ist noch offen. Dies ist beiden Parteien auch bewusst. Fraglich ist, ob der Vertrag zwischen V und K dennoch jedenfalls bis auf diesen (theoretisch auch später klärbaren) Punkt geschlossen wurde. Dies ist durch Auslegung zu ermitteln (§ 133 BGB iVm § 157 BGB). K hielt die Ratenzahlung hier für wichtig (§ 133 BGB), was auch für einen objektiven Empfänger in der Position des V erkennbar war (§ 157 BGB). Ohne diese Ratenzahlung sollte daher kein Vertrag zustandekommen. Dies deckt sich zudem mit dem Willen des V - er will wissen, wie die Ratenzahlung erfolgt, bevor er den Kaufvertrag schließt. Daher ist hier noch kein Vertrag geschlossen worden. Auf die Vermutung des § 154 Abs. 1 S. 1 BGB kommt es nicht an, da die Auslegung hier bereits ein eindeutiges Ergebnis liefert.