II. Inwieweit erleichtert § 373 HGB den Selbsthilfeverkauf?
2. Fall: Der Selbsthilfeverkauf
Ungeliebte Erbsensuppe: Supermarktbetreiber K bestellt beim Großhändler V 200 Dosen Erbsensuppe für 100 Euro. V erscheint zur vereinbarten Lieferzeit mit der Ware bei K. Dieser verweigert jedoch die Annahme, da er keinen Platz mehr in seinem Lager hat. V droht K an, dass er anderweitig über die Suppen verfügen werde, wenn K sie nicht innerhalb einer Woche abnimmt. K meldet sich nicht mehr. Daraufhin versteigert V die Suppen bei Ebay, kann jedoch nur 80 Euro erzielen. Welche Ansprüche hat V gegen K? |
Lösungsvorschlag (bitte anklicken) |
A. V könnte gegen K ein Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises i.H.v. 100 Euro aus § 433 Abs. 2 BGB zustehen. |
I. Anspruch entstanden |
V und K haben einen wirksamen Kaufvertrag geschlossen. |
II. Anspruch untergegangen |
1. Der Zahlungsanspruch könnte nach § 326 Abs. 1 S. 1 BGB untergegangen sein, sofern V die Lieferung der Erbsensuppen unmöglich wäre. a. Vertragsinhalt war, dass V 200 Dosen Erbsensuppen an K liefern solle. Dabei handelt es sich um eine Gattungsschuld, die durch § 243 Abs. 2 BGB konkretisiert wird, wenn der Schuldner alles zur Erbringung der Leistung Erforderliche getan hat. Vereinbart wurde eine Bringschuld, sodass sich die Verpflichtung des V darauf belief, ihm die Ware am Erfüllungsort (d.h. im Gewerbebetrieb des K) zur vereinbarten bzw. angekündigten Zeit anzubieten. Dies hat er laut Sachverhalt getan. Somit gerät K nach §§ 293, 294 BGB in Annahmeverzug. Die Schuld des V beschränkt sich gem. §§ 243 Abs. 2, 300 Abs. 1 BGB auf die Lieferung der schon ausgesonderten 200 Dosen, die er im Anschluss an die versäumte Annahme auf Ebay versteigert. Vorausgesetzt, dass eine anschließende Übergabe und Übereignung der Kaufsache an den Höchstbietenden erfolgt ist, ist es dem V nach § 275 Abs. 1 BGB unmöglich, die konkretisierte Gattungsschuld zu erfüllen. b. Die Lieferpflicht des V war hingegen dann nicht unmöglich, wenn sie durch Selbsthilfeverkauf nach § 373 HGB, § 362 Abs. 1 HGB erloschen ist. |
Handelskauf |
aa. Ein Kaufvertrag über bewegliche Sachen liegt vor. bb. Dieser muss für mindestens eine Vertragspartei ein Handelsgeschäft sein. V ist als Großhändler Kaufmann nach § 1 Abs. 1 HGB und der Handel mit Suppen gehört zu seinem Handelsgewerbe (§ 344 Abs. 1 HGB). cc. Damit liegt ein Handelskauf vor. |
c. Der Selbsthilfeverkauf muss ordnungsgemäß durchgeführt worden sein. |
aa. V hat K die Dosensuppen ordnungsgemäß zur vereinbarten Lieferzeit angeboten. Durch die Nichtannahme kam K nach den §§ 293 ff. BGB in Annahmeverzug. bb. V hat nach § 373 HGB ein Wahlrecht zwischen Hinterlegung und Selbsthilfeverkauf. Eine Hinterlegung der Dosensuppen war daher nicht vorrangig. cc. V hat den Verkauf der Suppen angedroht nach § 373 Abs. 2 S. 1 HGB. dd. V hat K jedoch Ort und Zeit des Verkaufs nicht mitgeteilt (§ 373 Abs. 5 S. 1 HGB). Dies hat jedoch keine Auswirkung auf die Ordnungsmäßigkeit des Selbsthilfeverkaufs, sondern führt nur zu einer Schadensersatzpflicht (§ 373 Abs. 5 S. 2 HGB). ee. Nach § 383 Abs. 3 BGB hat die Versteigerung durch einen für den Versteigerungsort bestellten Gerichtsvollzieher oder zu Versteigerungen befugten anderen Beamten oder öffentlich angestellten Versteigerern öffentlich zu erfolgen. Hier hat V die Versteigerung selbst bei Ebay durchgeführt. Folglich wurde der Selbsthilfeverkauf nicht ordnungsgemäß durchgeführt. c. Damit ist die Lieferpflicht des V nicht durch Selbsthilfeverkauf nach § 373 HGB erloschen. Es ist V durch die Versteigerung vielmehr unmöglich geworden die durch Annahmeverzug konkretisierte Gattungsschuld zu bedienen. Die Ausnahme des § 326 Abs. 2 S. 1 BGB greift nicht ein, da V die Unmöglichkeit zu vertreten hat. |
Ergebnis zu A |
2. Damit ist der Kaufpreisanspruch nach § 326 Abs. 1 S. 1 BGB erloschen. III. V hat damit gegen K keinen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises i.H.v. 100 Euro aus § 433 Abs. 2 BGB. |
B. V könnte gegen K ein Anspruch auf Schadensersatz aus § 280 Abs. 1, 3 BGB, § 281 BGB zustehen. |
Erläuterung der Lösung hier |
I. Schuldverhältnis |
Ein Schuldverhältnis liegt in Form des Kaufvertrages vor. |
II. Pflichtverletzung |
Indem K die Lieferung des V nicht zur vereinbarten Zeit angenommen hat, hat K eine fällige Leistung, die Annahme, nicht erbracht und damit seine Pflicht aus § 433 Abs. 2 BGB verletzt. |
III. Vertretenmüssen |
Das Vertretenmüssen des K wird nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet. |
IV. Frist |
Die angemessene Frist von einer Woche ist fruchtlos verlaufen. |
V. Schaden |
V muss einen Schaden erlitten haben, der nach § 249 Abs. 1 BGB ersatzfähig ist. Hätte K seine Pflicht nicht verletzt, hätte er die Dosen abgenommen und den Kaufpreis i.H.v. 100 Euro gezahlt. Durch die Pflichtverletzung des K hat V die Dosen bei Ebay versteigert und nur 80 Euro erhalten. Dies ist ein Deckungsverkauf, der bei Schuldnerverzug (nach Mahnung und Fristablauf) auf eigene Rechnung durchgeführt werden darf. V hat dabei einen Schaden in Höhe der Differenz von 20 Euro erlitten. |
VI. Ergebnis zu B |
Somit hat V gegen K ein Anspruch auf Schadensersatz i.H.v. 20 Euro aus § 280 Abs. 1, Abs. 3 BGB, § 281 BGB. |