6. Welche Gründe berechtigen zur Anfechtung?
b. Was gilt bei falscher Übermittlung (§ 120 BGB)?
Bei § 120 BGB setzt der Erklärende einen Boten oder eine Übermittlungseinrichtung (z.B. Internet-Provider) ein. Übermittelt dieser bzw. diese die Erklärung falsch (sog. "verlängerter Erklärungsirrtum"), so wird die Willenserklärung wie eine irrtümlich abgegebene behandelt, ist also zunächst wirksam, aber anfechtbar. Die Vorschrift dient damit dem Schutz des Erklärungsempfängers, der auf die Richtigkeit der ihm übermittelten Erklärung vertrauen darf, und bürdet dem Erklärenden das Risiko der Falschübermittlung auf.
Prüfungsschema für § 120 BGB
1. Verwendung einer Person oder Einrichtung zur Übermittlung: der Erklärende muss eine (eigene) Willenserklärung durch einen Dritten übermitteln lassen. § 120 BGB ist nicht auf Fälle der Stellvertretung anwendbar. Zudem gilt die Norm nicht für Erklärungen, die von einem Empfangsboten falsch an den Empfänger weitergegeben werden.
2. Unbewusste Falschübermittlung: die Norm findet nur direkte Anwendung, wenn die Erklärung unbewusst nicht richtig übermittelt wurde (ansonsten wird der unten aufgeführte Meinungsstreit relevant).
3. Unkenntnis des Empfängers: hat der Empfänger Kenntnis vom wahren Willen des Erklärenden, gilt dieser wirkliche Wille ungeachtet der falschen Übermittlung (Falsa demonstratio non nocet).
Erklärt irgendjemand, er sei Bote, ohne hierzu beauftragt zu sein, liegt schon keine zurechenbare Willenserklärung vor; der vermeintliche Bote hat die Willenserklärung quasi frei erfunden. In diesem Fall bedarf es keiner Anfechtung, die Erklärung wirkt nicht für oder gegen die Person, für die vermeintlich gehandelt wurde.
Umstritten ist aber, ob § 120 BGB Anwendung findet, wenn der Bote bewusst etwas anderes übermittelt, als ihm mitgegeben wurde:
Nach einer Auffassung hat der Erklärende durch die Einschaltung des Boten selbst das Risiko geschaffen, dass dieser etwas anderes erklärt als er erklären soll. Er muss also die fehlerhaft übermittelte Erklärung gegen sich gelten lassen oder anfechten und nach § 122 BGB Schadensersatz leisten. Diesen kann er dann im Innenverhältnis vom Boten nach § 280 Abs. 1 BGB ersetzt verlangen.Argument: Dafür spricht der Wortlaut, der nicht nach der Kenntnis des Boten differenziert.
Die Gegenansicht (wohl hM) verneint hingegen einen Anknüpfungspunkt für die Zurechnung der Erklärung des Boten: Dieser sollte nichts eigenes erklären, handelte also ohne jede Botenmacht. Ein solcher "Bote ohne Botenmacht" sei wie ein Vertreter ohne Vertretungsmacht zu behandeln: Der Auftraggeber kann das Geschäft genehmigen (§ 177 BGB, § 178 BGB), wenn er dies nicht tut, haftet der Bote persönlich auf Erfüllung oder Schadensersatz analog § 179 Abs. 1 BGB.
Argument: Dafür spricht, dass die Grenze zwischen Botenschaft und Stellvertretung ohnehin fließend ist, weil § 166 Abs. 2 BGB konkrete Weisungen auch bei Stellvertretung zulässt. Auch diese Ansicht bejaht aber im Einzelfall eine Haftung des Auftraggebers des Boten nach § 280 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 311 Abs. 2 BGB oder sogar verschuldensunabhängig analog § 122 BGB.